„Mann über Bord“ – was tun?

In der Berufsschifffahrt ist das Verhalten bei Notsituationen in der Sicherheitsrolle festgelegt und wird geübt. So konsequent verhält man sich im Sportbootbereich nicht. Dennoch geht es auch hier um die Sicherheit und Unversehrtheit der Besatzung und vielleicht auch mal um das Leben des Skippers selbst. 

 

Segelmanöver  

 

Egal auf welchem Kurs ich mich befinde, egal bei welcher Tageszeit und welchem Wetter, egal welche Segel stehen – das Schiff wird sofort auf Gegenkurs gebracht. Selbst bei voll stehendem Spinnaker, es wird sofort gewendet! Dies wäre dann ein sogenanntes „Quick-StopManöver“. 

 

Also, mit dem Ruf „Mann über Bord“ wird sofort hart Ruder gelegt, alle Schoten bleiben belegt, das Vorsegel steht back. In der Wende werden so schnell wie möglich eine Markierungsboje und zusätzlich auch sonstige schwimmfähige Gegenstände (Fender, Kapokkissen) ins Wasser geworfen, um den Unfallort großflächig zu kennzeichnen. Wenn man sie an Bord hat, dann sollte unbedingt auch eine Rauchboje aktiviert werden. Befindet sich der Rudergänger allein im Cockpit behält er den Mann im Auge, bis weitere Crewmitglieder an Deck sind. Ansonsten  behält ein Mann den Treibenden permanent im Blick und weist mit dem ausgestreckten Arm in seine Richtung. Zeitgleich wird (sofern vorhanden) der rote „Distress“-Knopf (automatischer Notruf) am UKW-Gerät gedrückt und die sogenannte MOB-Taste am GPS-Gerät. Dies übernimmt ein Besatzungsmitglied, dass sich noch unter Deck in der Nähe der Geräte befindet oder jemand, der kurzfristig „entbehrlich“ ist und sich vielleicht gerade dicht beim Niedergang aufhält. Im günstigsten Fall hat man sich nicht mehr als 50 m vom Mann entfernt, hält Blickkontakt und plant das weitere Vorgehen. 

 

Es werden dann die Vorsegel geborgen und die Maschine angeworfen, das Großsegel bleibt dicht geholt stehen, um das Schiff zu stabilisieren. Auch trägt die Schräglage dazu bei, den Treibenden in Lee besser aufnehmen zu können. Wenn möglich die Segel auf dem Vorschiff an der Reling beibändseln oder im Vorluk verschwinden lassen, um freie Sicht fürs manövrieren zu haben. Wenn man wählen kann, so ist die bessere Leeseite fürs Manöver diejenige, auf der sich der Gashebel befindet. 

 

Vorsicht: Besatzungsmitglieder die gerade aus der Koje an Deck geschossen kommen, insbesondere in der Nacht, sind nicht entsprechend gekleidet und nicht an die Dunkelheit mit ihrem Augenlicht adaptiert. Es besteht die große Gefahr, dass eine weitere Person über Bord gehen kann. 

 

Für den Motorbootfahrer ist es ähnlich: auskuppeln, bis keine Gefährdung durch den Propeller besteht, stoppen, umdrehen und auf den Treibenden zuhalten. In jedem Fall auch an eine Markierungsboje denken. 

 

Ob man eine Leinenverbindung zum Verunfallten mit Hilfe des „Lifesling“ – Systems erreichen kann, mag jeder Skipper selbst entscheiden. Dennoch kann es bei Wind schwierig sein, enge Kreise zu ziehen. Das Prinzip sollte sein, sich möglichst nicht vom Unfallort zu entfernen, den Sichtkontakt zu halten und möglichst schnell so dicht wie möglich heranzukommen. Hat der Verunglückte keine Schwimmhilfe (Jollenweste) oder Rettungsweste an, so kann man beim Vorbeitreiben einen Rettungskragen/Rettungsring zuwerfen. Es wäre von Vorteil, wenn man 2 davon an Bord hat, wobei einer auf jeden Fall mit einer Leine zu versehen ist. Vielleicht ist aber die über kurze Distanz gezielt zugeworfene Leine aus einem Bergungswurfsack (z.B. „Seculift“) noch die bessere Alternative, wenn man den Mann/die Frau nicht direkt an der Bordwand greifen kann. Hat man ein „Jon Buoy“ – System (selbst aufblasbare „Mini-Rettungsinsel“) an Bord, so ist das eine gute Markierungsmöglichkeit. Für den erfolgreichen Einsatz ist es jedoch notwendig, dass der Mensch im Wasser diese erreichen und sich auch noch mit eigener Kraft hineinziehen kann. 

 

Es ist ganz offensichtlich, dass man sich bei Nacht (aber auch bei anderweitig schlechter Sicht wie Nebel oder Regen) wirklich nicht vom Unfallort entfernen darf. Eine Rettungsboje mit Leuchtquelle markiert die Stelle, sämtliche Schiffsbeleuchtung wird eingeschaltet, jeder sucht mit Scheinwerfer oder Taschenlampe die Umgebung ab. Vielleicht im ersten Augenblick nicht gleich die Maschine anwerfen, um nach Hilferufen (oder Trillerpfeife) hören zu können. 

 

Hat man das Besatzungsmitglied aus den Augen verloren, dann muss ein Suchraster vom aktuellen GPS-Standort (=Datum) abgefahren und mitgeplottet werden. Am besten wäre es, anfangs eine „Sektorensuche“ durchzuführen (siehe Zeichnung), da man sich noch nicht weit vom Unglücksort entfernt haben kann. Das Suchmuster bildet einen „Stern“, bei dem die Suchkurse alle in einem Winkel von 120° zueinander liegen. Die Distanz von Punkt 1 zu Punkt 2 sollte nicht zu lang sein, am Anfang vielleicht 1/2 sm, beim 2. Durchlauf  evtl. etwas mehr oder man nimmt eine Stoppuhr zu Hilfe und bestimmt die abzufahrende Distanz abhängig von der Geschwindigkeit des Schiffes vielleicht mit 10, 20 oder 30 Minuten. Jeder einzelne Schenkel des abzufahrenden Dreiecks ist gleich lang! Man hält nach Backbord und Steuerbord Ausschau und kann so das Suchgebiet ziemlich gut einsehen.                      

 

*weitere Erläuterungen zur Sektorensuche werden im Anhang durch Claus Pichlo, dem ehemaligen Vormann des Helgoländer Rettungskreuzers „Wilhelm Kaisen“, gegeben. 

 

Hat man in den ersten beiden Stunden keinen Erfolg, so muss man ein erweitertes Gebiet absuchen ( sog. „Expending Square“ – Suche). Man kann so beginnen, dass man z.B. rechtwinklig voneinander abweichende Kurse im Uhrzeigersinn steuert mit langsam sich vergrößernder Distanz, d.h. spiralförmig vom Unfallort eckige „Kreise“ zu fahren, deren Durchmesser immer größer wird.   

 

Wenn möglich sollte man immer versuchen, Kontakt zum MRCC („Maritime Rescue Coordination Center“) in Bremen herzustellen mittels UKW (DSC oder Kanal 16), Satellit oder Mobilfunk (Tel. Nr. 124 124 – ohne Vorwahl wählen!), um sich bei der Koordinierung der Suche helfen zu lassen. Spätestens wenn der 1. Rettungsversuch fehlgeschlagen ist, sollte man zumindest im küstennahen Bereich die Seenotretter direkt um Hilfe anrufen. Dieses unbedingt auch dann, wenn man die im Wasser treibende Person aus den Augen verloren hat. Durch Aktivierung des Distress - Knopfes wird eine Suche und Rettung automatisch in Gang gesetzt. Die Koordinierung einer ausgedehnten Suche, auch unter Zuhilfenahme mehrerer Schiffe, kann effektiv nur durch ein MRCC geleistet werden. 

 

 

Probleme 

 

Eine große Crew wird bei gutem Wetter und ruhiger See die wenigsten Probleme haben, den „Überbordgegangenen“ wieder aufzunehmen. Je ungünstiger die Witterungsbedingungen (vor allem in der Nacht), je kleiner die Crew und je hochbordiger das Schiff, desto schwieriger kann es werden bis hin zur Unmöglichkeit, die treibende Person an Bord zu nehmen.  

Für den Verunfallten besteht die größte Gefahr im Tod durch Ertrinken, und dies entscheidet sich in den ersten 3 Minuten. Durch den Sturz ins (kalte) Wasser und das gilt für Temperaturen unter 15 Grad, fängt man massiv an zu atmen (Hyperventilation) und kann dadurch erhebliche Mengen Seewasser in die Atemwege bekommen. Schon durch 250 ml Wasser kann die Lungenfunktion so verschlechtert werden, dass das Überleben in hohem Maße gefährdet ist. Die Problematik der Unterkühlung tritt, natürlich in Abhängigkeit von der Wassertemperatur, vielleicht erst nach 30 Minuten auf. 

 

Das Risiko zu ertrinken wird um so größer je weniger die Person durch Kleidung geschützt und je älter sie ist, je schlechter die körperliche Verfassung  und je gravierender bestehende Vorerkrankungen wie z.B. hoher Blutdruck oder Herzerkrankungen sind. Aber auch sonst gesunde und junge Menschen (Regattasegler) sind nach Überbordfallen ertrunken, weil sie für die Wassertemperatur zu leicht bekleidet waren. Auch eine reine Schwimmhilfe (z.B. Jollenweste) verbessert die Überlebenschancen, da dann im Wasser nicht so sehr gestrampelt und hyperventiliert werden muss, um sich an der Oberfläche zu halten. 

 

 

Verhalten im Wasser 

 

Je kälter die Wassertemperatur und je weniger bekleidet man ist, desto ausgeprägter ist der Kältereiz auf den Atemantrieb. Hyperventilation führt zu unbewusstem Einatmen von Gischt und Wasser, um so mehr je schlechter das Wetter ist (Wind und Seegang). Diesbezüglich können schon 4 – 5 Windstärken problematisch sein. Man soll versuchen, den massiven Atemreiz unter Kontrolle zu bringen und den Körper gegen den Wind zu drehen. So wenig und so langsam wie möglich bewegen, um in der Kleidung eingeschlossene Luft zu erhalten, einmal wegen des Auftriebs zum anderen wegen der isolierenden Wirkung. Da die Greiffähigkeit der Hände in kaltem Wasser schnell nachlassen kann, sollen wichtige Handlungen sofort durchgeführt werden, wie z.B. Hervorholen von Lampe und Trillerpfeife aus einer Tasche oder Anlegen des Spraycap (Spritzschutzhaube) der Rettungsweste. Ein Problem bei übergezogenem Spraycap könnte sein, dass man das herannahende Boot oder die zugeworfene Leine durch das eingeschränkte Gesichtsfeld oder ein beschlagenes Sichtfenster nicht gut erkennen kann. 

 

Jeder sollte vor Reiseantritt in die Handhabung der Rettungsmittel eingewiesen worden sein! 

 

 

Rettung/Bergung 

 

Ein Problem ist, nahe genug an die im Wasser treibende Person heranzukommen, wenn möglich per Hand zu ergreifen. Ein noch größeres mag es sein, den Menschen aus dem  Wasser zu retten/zu bergen. 

 

Der Treibende muss irgendwie fixiert werden. Unterkühlte Personen sind oft nicht mehr in der Lage, eine Leine zu ergreifen oder irgendwie sonst bei der eigenen Rettung mitzuhelfen. Wenn das Schiff zu hochbordig ist und man die Person im Wasser nicht zu fassen bekommt, dann darf nur bei größerer Crew ein weiterer Mann ins Wasser gehen. Und das auch nur, wenn er einen Überlebensanzug trägt und durch eine Sicherungsleine mit dem Boot verbunden ist. Zusätzlich muss eine flexibel anzubringende Badeleiter vorhanden sein. Ein Aufnehmen über die Heckplattform und Heckbadeleiter geht nur bei ruhiger See. Allerdings kann eine bewusstlose Person, auch wenn das Wetter gut ist, kaum übers Heck geborgen werden. Vorsicht: am Heck befindet sich in der Regel der Auspuff, das Einatmen von Kohlenmonoxyd ist für alle lebensgefährlich! Motor ausstellen und treiben lassen, Lifegurte für die Helfer, damit sie beim Hochziehen des Verunfallten nicht noch selbst über Bord gehen. 

 

Grundsätzlich ist es empfehlenswert, wenn eine unterkühlte Person horizontal und möglichst schonend geborgen wird. Wenn der Betroffene senkrecht aus dem Wasser gezogen wird, dann kommt es zu einem Abfall des Blutdrucks, weil durch den Wegfall des Wasserdrucks auf den Körper das Blut in den Beinen versacken kann. Der Lifteffekt, insbesondere bei der Hubschrauberbergung (siehe Fastnet-Rennen 1979), verstärkt diesen Mechanismus zusätzlich.  Heftige Bewegungen der Arme und Beine können dazu führen, dass kaltes Blut aus den Extremitäten in den wärmeren Körperkern strömt und so zu einem stärkeren Abfall der Körpertemperatur führt, mit der Folge, dass lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen ausgelöst werden können. 

 

Welche Hilfsmittel man zur Bergung nimmt, darf jeder Skipper selbst entscheiden. Am besten eignet sich jedoch ein auf die Schiffsgröße zugeschnittenes dreieckiges Lecksegel, in der Form eines gleichschenkligen Dreiecks (z.B. Basis 2m, Kantenlänge 2,5 – 3m), welches ohne Durchhang an der Fußreling angeschlagen werden kann oder handelsüblich zu kaufen ist als „Tri-Buckle“ oder „HypoHoist“ (bei letzterem sind Trittstufen wie für eine „Leiter“ in das Segeltuch eingearbeitet) oder das Bergesegel „Pick up Sail“ der Fa. Doyle-Oleu aus Heiligenhafen. Das Doppelschlaufensystem „RLS“ (Rescue-Lifting-System) ist nach meiner Ansicht zu voluminös für den Sportbootbereich und zu zeitaufwendig anzulegen. Ein Vorsegel eignet sich durch seine asymmetrische Form auch weniger, weil es an der Fußreling wahrscheinlich durchhängt. Das Großsegel aus der Nut zu nehmen und zu verwenden ist bei schlechtem Wetter ebenfalls nicht ideal, da das Schiff ohne stabilisierendes Groß viel zu sehr rollt. Weitere Bergungshilfen sind: „Jason’s Cradle“ (wegen des Gewichts und sperriger Abmessungen für Segler eher weniger geeignet, auch ist die Auflagefläche für den Körper zu schmal), die schon erwähnte „Jon-Buoy“ , das „Markus Lifenet“ (mit dem eine halbsitzende Bergungsposition hergestellt werden kann) diverse „Rescue-Sling“- Systeme (mit denen primär nur vertikal geborgen werden kann), aber auch ein Treibanker z.B. vom Typ „Galerider“ kann verwendet werden, um die Person wie mit einem Kescher einzufangen und hochzuziehen. 

 

Egal für welches System man sich entscheidet, entscheidend für den Erfolg ist das vorherige Training. Weiterhin gilt es abzuschätzen an welchem Punkt der Bordwand ein Aufholen überhaupt möglich ist. Sind die Fallen lang genug, um bis zur Wasseroberfläche zu reichen? Welches Fall (Vorsegel/Spi) kann man nehmen? Muss eventuell eine Talje zusätzlich angeschlagen werden? Sind die zu verwendenden Winschen selbstholend und ausreichend für die zu erwartende Last übersetzt, damit eine „schwache“ Person die Aufgabe bewerkstelligen kann? Kann man eine Person an Deck überhaupt „ablegen“ oder ist dieser Bereich so schmal, dass es völlig unmöglich ist? Lässt sich der untere Relingsdurchzug problemlos entfernen, um ein „Hereinrollen“ zu ermöglichen? 

 

Unabhängig von den medizinischen Vorgaben einer möglichst horizontalen Bergung, unabhängig von den vorhandenen Hilfsmitteln gilt es jedoch in folgender Situation schnell zu handeln: wenn eine Person bewusstlos geworden oder so geschwächt ist, dass die Atemwege bzw. das Gesicht unter Wasser geraten, wenn also unmittelbares Ertrinken droht, dann muss die Person aus dem Wasser raus und zwar so schnell wie möglich (im Rettungsdienst nennt man das eine „Crash – Rettung“) und egal auf welche Weise (Fall in den D-Ring der Rettungsweste einpicken, sonstigen Gurt oder Leine mit Palstek umlegen, irgendwie muss der Verunfallte rausgeholt werden)! Vielleicht gelingt es noch die Beine in der Kniekehle zu unterfangen (z.B. mit einer „Lifeline“, die ja an jedem Ende einen Karabinerhaken besitzt) und eine halbsitzende Position zu erreichen, aber auch das ist sekundär, wenn es nur gelingt, den Kopf so schnell wie möglich über Wasser zu bekommen. 

 

Weitere Hilfsmittel, die bei der Bergung eingesetzt werden können, sind: ein vorhandenes Schlauch- oder Beiboot zu benutzen und als letzte Möglichkeit die Rettungsinsel aufzublasen. 

 

Während sich auf einem Segelboot etliche Möglichkeiten anbieten, Taljen anzuschlagen oder Winschen zu benutzen, so haben viele Motorboote überhaupt keine weiteren „technischen Hilfsmittel“ an Bord. In den meisten Fällen haben diese Schiffe eine Badeplattform mit Leiter am Heck (Abgase!), aber wie geht es dann weiter? Von erheblichem Vorteil wäre es, wenn ein Ausleger vorhanden ist (vergleichbar mit einem Bootsdavit), am besten noch schwenkbar, um den Verletzten über ein Gurtsystem (z.B. „Rescue-Lifting-System“,RLS) mit Hilfe eines Flaschenzugmechanismus an Oberdeck zu bekommen. 

 

Erste Hilfe 

 

Unterstellen wir den schlimmsten Fall, nämlich die Rettung einer bewusstlosen und unterkühlten Person, so wird diese an Bord geholt und irgendwie ins Cockpit getragen (gezogen/gezerrt?). Hierfür könnte man auch ein Bergetuch aus dem Rettungsdienst verwenden, zumindest wäre es hilfreich, wenn man die Person liegend unter Deck schaffen will. Auch ein noch ansprechbarer Patient wird, so weit es möglich ist, getragen. Überflüssige Bewegungen des Verunfallten sind zu vermeiden. Im geschützten Cockpit wird der Patient unterm Sprayhood erst mal in einer Art stabiler Seitenlage gelagert und auf Lebenszeichen untersucht (natürlich ist das im Dunkeln, bei Seegang, Wind und Umgebungsgeräuschen ausgesprochen schwierig). 

 

Das Schiff sollte entweder beigedreht liegen bleiben oder auf dem bestmöglichen Kurs mit den stabilsten Schiffsbewegungen in Fahrt gehalten werden.  

 

Ein Verunfallter, der nicht auf Ansprache und Schmerzreize (Kneifen) reagiert und der offensichtlich nicht mehr atmet, muss nach den aktuellen Leitlinien der „Ersten Hilfe“ wiederbelebt werden und zwar mit Herzdruckmassage und „Mund-zu-Mund“ oder „Mund-zuNase“ Beatmung (Reanimation). Für die Atemspende gibt es diverse Hilfsmittel auf dem Markt (z.B. Pocket Mask der Fa. Laerdal oder Rescue Taschenmaske der Fa. Ambu). Die völlig unsinnige Maßnahme, eingedrungenes Wasser aus Lunge und Magen durch auf den Bauch drehen und „ausschütteln“ versuchen zu entfernen, muss unterbleiben, da hierdurch nichts zu erreichen ist und man den Geretteten noch zusätzlich gefährdet. Allenfalls kann man Wasser aus der Mundhöhle durch kurzes Drehen auf die Seite herauslaufen lassen. Eine unterkühlte Person mit Herzstillstand hat eine deutlich bessere Überlebenswahrscheinlichkeit als ein Patient mit normaler Körpertemperatur (Kälte schützt das Gehirn), so dass eine Wiederbelebung sehr lange bzw. so lange wie möglich durchgeführt werden muss. Auch wenn bestes Wetter und Sonnenschein vorherrschen: eine Person, die leblos aus dem Wasser geborgen wird, ist als unterkühlt einzustufen und wird entsprechend wiederbelebt. Dies alles geschieht bei schlechterem Wetter wahrscheinlich im Cockpit. Je nachdem in welchem Bereich des Schiffes die Person aus dem Wasser geborgen wurde, so wäre es natürlich auch denkbar, diese Behandlungsmaßnahme bei gutem Wetter wegen der besseren Platzverhältnisse auch auf dem Vorschiff durchzuführen.  

 

Im Falle des Ertrinkens wird zuerst mit 5 Beatmungen begonnen (jede Beatmung soll nur 1 Sekunde dauern und wird mit geringem Luftvolumen durchgeführt. Der Brustkorb des Patienten soll sich nur eben sichtbar heben). Danach folgen 30 kräftige Kompressionen mit gestrecktem Arm und ineinander verschränkten Händen mit dem aufgesetzten Handballen der rechten Hand auf die Mitte des Brustbeins mit einer Frequenz von 100 pro Minute. Der Brustkorb soll 4-5 cm eingedrückt werden, das Prinzip ist: drücke hart und schnell, je kräftiger der Patient, desto mehr muss das eigene Körpergewicht eingesetzt werden. 

 

Diese Maßnahme ist sehr anstrengend. Für den Rettungsdienst gibt es die Empfehlung, dass die Helfer alle 2 Minuten wechseln, was 5 Zyklen des Rhythmus 30 : 2 entspricht. Dies ist die Abfolge, die nun durchgehalten werden muss, d.h. auf 30 Brustkorbkompressionen folgen 2 Beatmungen. 

 

Im Falle eines Herzstillstandes ohne Ertrinken (Situation: Patient im Wasser noch lebend, dann infolge Anstrengung bei der Bergung auf einmal einen Herzinfarkt erleidend und an Deck zusammenbrechend) beginnt man sofort mit 30 Kompressionen gefolgt von 2 Beatmungen. Dieses Verhältnis von 30 : 2 wendet der Laienhelfer auch an, wenn das verunglückte Opfer ein Kind ist. 

 

Die Wiederbelebung wird so lange fortgeführt, solange die Crew körperlich hierzu in der Lage ist, d.h. es könnte auch über Stunden gehen. Kann man Land erreichen, übernimmt der Rettungsdienst die Behandlung. Befindet man sich mitten auf der Nordsee und professionelle Hilfe steht nicht zur Verfügung, so wird auf jeden Fall bis zur Erschöpfung der Helfer reanimiert.  

 

Wenn der DSC - Ruf rausgegangen ist, dann werden sich möglicherweise Schiffe melden, so dass es irgendwie gelingen könnte, mit dem TMAS - Cuxhaven („Telemedical Maritime Assistence Service“ am Krankenhaus Cuxhaven, Tel.-Nr.: 04721-780) Kontakt aufzunehmen. In diesem Fall hätte man die Möglichkeit, sich über ein sogenanntes „Medico – Gespräch“ zusätzlich ärztlichen Rat und im Falle einer erfolglosen Reanimation auch Beistand einzuholen. 

 

Im Gegensatz zur Wiederbelebungssituation befindet sich ein ansprechbarer und zitternder Patient im 1. Stadium der Unterkühlung und ist primär nicht gefährdet. Er wird unter Deck gebracht, mit trockener Kleidung und warmen Getränken (kein Alkohol!) versorgt und in die Koje gelegt. Ein Besatzungsmitglied bleibt ständig bei ihm und überwacht den Gesundheitszustand, sofern dieses ohne Erleiden von Seekrankheit für den „Betreuer“ unter Deck möglich ist. Zum Wiedererwärmen eignen sich auch hervorragend 2 große Plastikmüllsäcke, die über die Kleidung gezogen werden (einen von unten, einen von oben und nicht vergessen eine Öffnung für den Kopf reinzuschneiden!), weil die Körperwärme durch die Folie nicht entweichen kann. 

 

Sollte die Person nach längerer Suche unterkühlt aber mit noch vorhandenen Lebenszeichen (d.h. Bewusstsein getrübt, verlangsamte Atmung, nur schwacher Puls feststellbar, kein Muskelzittern mehr vorhanden) an Bord geholt werden können, so besteht höchste Lebensgefahr (2. Stadium der Unterkühlung). Wie schon erwähnt, wird die Lagerung wahrscheinlich im relativ geschützten Cockpit erfolgen. Entscheidend wäre erst mal zu versuchen, weiteren Wärmeverlust zu verhindern. Man wird nicht umhin kommen, die Wetterjacke zu öffnen und die durchnässte Unterkleidung aufzuschneiden, um trockene Handtücher um die nasse Haut von Brustkorb und Bauch zu legen und möglichst auch den Rücken zu bedecken. Das schützende Ölzeug soll nicht ausgezogen werden, die nasse Kleidung wird sozusagen trocken „unterfüttert“.) Der Patient bleibt in Seitenlage liegen, wird so wenig wie möglich bewegt und ständig angesprochen, um den „Durchhaltewillen“ zu stärken. Um die trockenen Tücher oder Decken wird eine beschichtete Folie (Rettungsdecke aus dem 1. Hilfe-Kasten, welche Seite innen oder außen ist spielt keine Rolle) gelegt, danach wird die Kleidung wieder umgelegt und der Körper mit reichlich Decken über dem Ölzeug eingeschlagen (auch an Plastikmüllsäcke denken wie oben erwähnt). Kopf und nasse Haare mit Mützen bedecken, polstern so gut es geht, Kapokkissen oder Isomatte danach unter den Körper schieben, um weitere Wärmeverluste zu verhindern.  

 

Danach werden organisatorische Maßnahmen zur weiteren Rettung geplant. Ständige Überwachung ist notwendig, um gegebenenfalls bei Atemstillstand und Bewusstseinsverlust sofort wiederbeleben zu können. 

 

Sollten die Wärmeschutzmaßnahmen ausreichend sein und sich der Zustand in irgendeiner Weise stabilisieren, dann kann zu einem späteren Zeitpunkt überlegt werden, ob und wie der Verunfallte unter Deck verbracht werden kann. Dieser muss jedoch passiv bleiben, darf nur liegend transportiert und so wenig wie möglich bewegt werden. Diese Überlegungen spielen aber auch nur dann eine Rolle, wenn man sich nicht im küstennahen Bereich, sondern weit draußen auf See befindet. 

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei einer „Mensch/Person/Mann über Bord“ – Situation mit dem Schlimmsten gerechnet werden muss (das alte „Mann über Bord“ lässt sich am besten rufen!). Auch wenn dies einer „Binsenweisheit“ gleichkommt, so gilt es doch unter allen Umständen zu vermeiden, dass man überhaupt über Bord fällt. Man sollte sein Sicherheitsbewusstsein trainieren, gefährliche Situationen versuchen zu erahnen und zusätzliche Vorsorge durch Tragen einer „persönlichen Schutzsausrüstung“ treffen. Die Manöver der Sicherheitsrolle sollten geübt werden, auch für andere Notsituationen (Kollision/Wassereinbruch, Feuer an Bord) und man sollte ernsthaft darüber nachdenken, einen Auffrischungskurs in Erster Hilfe und Wiederbelebung, z.B. beim DRK zu machen. 

 

Viele Hinweise zur Rettung und Behandlung dürfen als Anregung verstanden werden und sollen zum Nachdenken anregen. Die Größe und „baulichen“ Besonderheiten eines jeden Schiffes, die unterschiedlichen Fähigkeiten einer Besatzung und die besonderen Gegebenheiten einer jeden Situation erfordern unterschiedliche Strategien. Entscheidend ist die gedankliche Auseinandersetzung mit den möglichen Problemen, damit nicht ein Notfall durch kopfloses Handeln zur Katastrophe wird. 

 

Dr. med. Jens Kohfahl 

 

 

Bei den Rettungsmitteln, die im Fettdruck markiert worden sind, handelt es sich um Markennamen, die übers Internet gesucht werden können.