Mittel gegen Seekrankheit

Mittel gegen Seekrankheit

(„Seasickness remedies“, von Professor Noel Dilly, aus: ‚Adlard Coles’ Heavy Weather Sailing, 6th edition 2008 – Übersetzung aus dem Englischen durch Dr. med. Jens Kohfahl) 

 

Hoffentlich hat man sich so umfassend und rechtzeitig auf schweres Wetter vorbereitet, dass es keiner großen Anstrengung mehr bedarf, wenn es wirklich zu wehen anfängt. Man kann jedoch nicht davon ausgehen, dass dies immer so sein wird, und daher ist es wirklich wichtig, dass sowohl Skipper wie auch Crew körperlich fit sind, wenn es darauf ankommt. Seekrankheit kann ernsthaft die körperlichen und intellektuellen Fähigkeiten beeinträchtigen. Aber auch Schlafmangel und falsche Ernährung können eine Rolle spielen. 

 

Angemessene Bekleidung, Verpflegung und ein guter Führungsstil sorgen dafür, dass der Segler warm und trocken ist und sich wohl fühlt. Geeignete Bekleidung für schweres Wetter zu finden ist jedoch nicht immer einfach. Eine gute Schlechtwetterbekleidung ist effektiv bis Windstärke 7. An Deck jedoch, wenn es im Rigg anfängt zu heulen, wird das Wasser bald seinen Weg bis in die innersten Bekleidungsschichen finden, insbesondere wenn körperliche Aktivitäten notwendig sind. Unter noch schlechteren Bedingungen wäre ein Trockenanzug ideal, aber auch die althergebrachten total wasserdichten „Plastik – Anzüge“  sind erstaunlicherweise effektiv und dazu auch noch billig. Unbehagen und Kälte setzen dem Körper zu, was Angst hervorrufen und dadurch die Seekrankheit mit verursachen kann. 

 

Sobald wir uns nicht mehr aufrecht auf ebener Erde vorwärts bewegen und uns an Bord eines schwankenden Transportmittels begeben, gehen wir das Risiko ein, unter der Bewegungskrankheit zu leiden. Einige Zyniker haben unterstellt, dass dies evolutionär gesehen vorteilhaft sei, um Reisen zu verhindern und so die Reinheit des vorhandenen „GenPools“ zu erhalten. Seekrankheit ist wahrscheinlich die älteste Form der Bewegungskrankheit, die der Menschheit bekannt ist.  

 

Blickt man von den Argonauten zu den Astronauten , so ist eine erstaunlich hohe Anzahl von Menschen bewegungskrank geworden. Jeder, der über eine normale Funktion seines Gehörs verfügt, ist dafür anfällig. Dies entdeckte man erstmalig, als eine Einrichtung für Taubstumme 70 Bewohner auf eine Kreuzfahrt mitnahm und niemand trotz eines Sturmes seekrank wurde. 

 

Obgleich sich die meisten Menschen sehr schnell daran gewöhnen, gibt es einige wenige, die zeitlebens unter Seekrankheit leiden, sobald sie sich auf dem Wasser befinden. Kinder unter zwei Jahren sind dagegen immun. Besonders anfällig ist man zwischen zwei und zwölf Jahren. Außerdem ist es erstaunlich, dass Menschen, die sich durch extremes Training fit halten, sehr anfällig für Seekrankheit aber nicht für die Weltraumkrankheit sind. 

 

Neben der unterschiedlichen Anfälligkeit von Mensch zu Mensch unterscheidet, gibt es außerdem Unterschiede hinsichtlich Geschlecht und Rasse. Frauen, besonders während der Menstruation und Schwangerschaft, sind zu 70 % anfälliger als gleichaltrige Männer. Asiaten, und hier insbesondere die Chinesen, werden ebenfalls schneller seekrank. Seekrankheit ist jedoch nicht allein ein Problem der Menschen wie Besitzer von Haustieren immer wieder beobachten konnten, die ihre Tiere auf See mitgenommen haben. 

 

Während die Seekrankheit im Allgemeinen nicht lebensbedrohend ist, beeinträchtigt sie doch erheblich die Lebensqualität. Gewöhnlich gipfelt sie in periodischem Übelkeitsgefühl und Erbrechen. Obgleich bei der Seekrankheit die Psyche eine erhebliche Rolle spielt (d.h. sie hat ihren Ursprung in bestimmten Gehirnzentren), muss man nicht zwangsläufig bei Bewusstsein sein, um seekrank zu werden. 

 

(Abbildung S.133: Bei schwerem Wetter bedeutet Reffen eine hohe Belastung für die Crew. Unter diesen Bedingungen ist es oftmals einfacher beizudrehen, wenn das Großsegel gerefft werden muss, weil hierdurch die Schiffsbewegungen besser zu ertragen sind. Das Schiff unter voll stehendem Vorsegel nach Luv zu „prügeln“, macht die Angelegenheit ungleich schwieriger. Um beim Vorsegelwechsel heldenhafte Aktionen auf dem Vorschiff zu vermeiden ist es oft besser, wenn vor dem Wind abgelaufen wird). 

 

Aus der Entwicklungsgeschichte der Menschheit lässt sich offensichtlich keine Erklärung für die Seekrankheit ableiten. Weshalb also existiert dieser Mechanismus auch noch nach Millionen von Jahren der Evolution, wenn er keinem offensichtlichen Zweck dient? Die Bewegungskrankheit ist das Ergebnis einer Aktivierung durch einen künstlichen Reiz (ungewöhnliche Bewegung), um Mechanismen in Gang zu setzen, die einen bestimmten Zweck erfüllen (nämlich Giftsstoffe aus dem Magen zu entfernen). Warum aber sollte eine ungewohnte Bewegung diese Reaktion hervorrufen? Nun, weil sehr kleine Dosen eines giftigen Stoffes (sogenannte Neurotoxine) genau dieselbe Störung der Signale hervorrufen, die unser Gehirn von den Augen, den Ohren und den Extremitäten erhält, wie sie auch bei der Bewegung eines Bootes entstehen. Das Gehirn deutet diese Signale als die ersten Anzeichen einer Nahrungsmittelvergiftung und man fängt an sich zu erbrechen, um den Giftstoff wieder loszuwerden. Die begleitende Übelkeit mag auch dazu dienen, dass man zukünftig derartige Gifte vermeidet. 

 

Es wurde viel Grundlagenforschung betrieben, um die Ursachen für die Seekrankheit herauszufinden. Die am meisten akzeptierte Erklärung ist die der ungeordneten Verarbeitung von eingehenden Signalen, was bedeutet, dass das Gehirn durch widersprüchliche Informationen, die es von den Augen, vom Innenohr und durch die Körperhaltung erhält, irritiert wird. Die sensorischen Impulse zum Gehirn stimmen also nicht mit dem erwarteten Bild überein. Wenn man zum Beispiel an der Seekarte arbeitet, vermitteln die Augen, dass die Karte ruht, wohingegen das Gleichgewichtsorgan dem Gehirn signalisiert, dass sich das Boot in Bewegung befindet. Schließlich aktivieren die Interaktionen zwischen dem Gehirn, dem Magen – Darm - Trakt und die zunehmende Übelkeit das so genannte ‚Brechzentrum’ im Gehirn. Danach fühlt man sich besser, bis der ganze Zyklus wieder von vorne beginnt. 

 

Auch Angst spielt eine Rolle. Viele Studien haben gezeigt, dass eine Aktivierung der Bereiche des zentralen Nervensystems (des Gehirns), die mit Kampf und Flucht zu tun haben, mit Erbrechen einhergehen. 

 

Das Übelkeitsgefühl ist oft mit bestimmten Tätigkeiten verbunden wie Kochen, Navigieren oder beim Anziehen von Wetterschutzbekleidung. Wenn man seine Mitsegler aufmerksam beobachtet, dann gibt es außer der offensichtlichen Blässe noch andere Anzeichen. Manchmal schwitzen sie erheblich, gähnen oder husten. Sie reduzieren ihre Aktivitäten und können teilnahmslos oder sogar völlig apathisch werden. 

 

Wie könnte man behandeln?

Strategie – Vorbeugung ist das Ziel 

 

Der einfachste und effektivste Weg für die Mehrheit der Segler ist, sich langsam aber sicher zunehmend den Bewegungen auszusetzen, die die Seekrankheit beim Einzelnen hervorrufen. Während man zunehmend so seine Belastungsgrenzen austestet, gibt es auch gute Hinweise dafür, dass es am besten ist, sich flach auf den Rücken zu legen (Gesicht zur Decke, nur ein dünnes Kissen unterlegen). Der Kopf sollte außerdem mit weiteren Kissen seitlich gestützt werden und die Augen sollten geschlossen sein. Dies kann die Zeit bis zum Einsetzen von Erbrechen hinauszögern. Bevor man zu diesen drastischeren Maßnahmen greift, können viele die Seekrankheit verhindern, in dem sie auf einen festen Punkt am entfernten Horizont schauen. Schaut man in einem Winkel von 45° über den Horizont hinweg, so reduziert man die Übelkeit auslösenden Impulse. Lesen sollte man unbedingt vermeiden. 

 

(Abbildung S.134: Seekranke Personen werden teilnahmslos und zeigen kein Interesse mehr. Wenn man sie dazu anhält, einfache Aufgaben zu verrichten, dann kann sich ihr Zustand oft verbessern). 

 

Eine gute Belüftung unter Deck ist wichtig und ebenso hilfreich ist es, wenn man kurz an Deck gehen kann, um frische Luft zu atmen. Es empfiehlt sich, vor oder während der Eingewöhnungsphase Alkoholexzesse oder voluminöse Mahlzeiten zu meiden. Immer wieder sollte man kleine Mengen an Flüssigkeit und einfache Nahrung zu sich nehmen. 

 

Auch wenn des öfteren empfohlen wird, kurz vor dem Auslaufen nichts mehr zu essen, so gibt es doch ausreichend wissenschaftliche Hinweise dafür, dass eine Nahrungsaufnahme die Seekrankheitssymptome unterdrücken kann. Eine leichte Mahlzeit, die hauptsächlich aus Kohlenhydraten besteht, wird von vielen als angenehm empfunden. 

 

Eine gewisse Gewöhnung kann auch dadurch erreicht werden, wenn man vor Beginn eines Segeltörns die ersten beiden Nächte besser vor Anker als in einer Marina liegend verbringt. Die Anpassung wird beschleunigt, indem man sich zusätzlich auch im Schlaf den Bootsbewegungen aussetzt. 

 

Beidrehen kurz vor Ausbruch der Seekrankheit hilft bei vielen, sich soweit zu erholen, um das Schlimmste zu verhindern. Ein stressfreies Aufsuchen der Toilette, etwas leichte Decksarbeit, eine leicht verdauliche Mahlzeit, sich nicht ständig am Boot festhalten müssen und außerdem das Vermeiden von mit Angst besetzten Tätigkeiten, können in hohem Maße therapeutisch hilfreich sein. 

 

Nicht-medikamentöse Behandlung 

 

Ingwer 

 

Ingwer wird schon seit so langer Zeit kultiviert, dass es als Wildpflanze ziemlich unbekannt ist. Das Gewürz Ingwer wird gern als Mittel gegen Seekrankheit empfohlen, und zwei große Studien haben auch eine bessere Wirksamkeit gegenüber Placebos herausgefunden. Es wurde außerdem mit Erfolg bei post-operativer Übelkeit und  Erbrechen nach Bestrahlungstherapie eingesetzt. Allerdings konnte eine Studie zur Wirksamkeit bei der Weltraumkrankheit keine positiven Effekte bei Astronauten feststellen. 

 

Die Chinesen empfehlen, mindestens eine halbe Stunde vor Reisebeginn eine Dosis von 1 g einzunehmen. Manche von ihnen kauen ständig kleine Stücke von Ingwerwurzeln bis sie sich akklimatisiert haben. Untersuchungen westlicher Arbeitsgruppen empfehlen eine geringere Dosis, etwa ein Drittel bis ein Fünftel eines Teelöffels mit getrocknetem Ingwer (bis zu 1/2g). Bei dieser Dosierung, die 6 „gingersnap biscuits“ oder etwa ½ l „Ginger Ale“ (kein sprudelndes „Ginger Beer“) entspricht, kann man einen ausreichenden Effekt erwarten. Da Ingwer allenfalls nur geringfügige Nebenwirkungen hat, kann man dieselbe Dosis, wann immer es notwendig wird, erneut einnehmen. 

 

 

Alternative Heilmittel 

 

Alternative Heilmittel wie Akkupressurbänder, die am Handgelenk über dem P6 oder Nei Knan Akkupunkturpunkt angebracht werden, scheinen bei einigen Leuten zu helfen. Auch wenn es keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beweis hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gibt, hat sich doch herausgestellt, dass irgendeine Behandlung immer noch besser ist als gar nichts zu tun. Auch elektronische Handgelenksbänder werden inzwischen zur Behandlung der Seekrankheit eingesetzt. Sie funktionieren offensichtlich so, dass sie elektrische Impulse mit niedriger Energie an die Akkupunkturpunkte im Bereich des Handgelenks abgeben. Diese Bänder sind jedoch nicht vollständig wasserdicht und verrutschen auch, wenn der Träger arbeitet. 

 

(Abbildung  S.135: Hohe Geschwindigkeiten bei schwerer See bewirken heftige, unregelmäßige und harte Bewegungen des Bootes, wodurch sich die Auswirkungen des Seegangs noch verstärken.  Oft erreicht man schon eine erstaunliche Verbesserung der Bedingungen an Bord, wenn man die Geschwindigkeit reduziert oder die Kursrichtung zur anlaufenden See verändert). 

 

Auch andere einfache Hilfsmittel, wie zum Beispiel zuckerhaltige Sportgetränke (Gatorade, Lucozade) oder warmer Tee können erstaunlich wirksam sein. 

 

Medikamentöse Behandlung 

 

Der Bewegungskrankheit  vorzubeugen ist viel einfacher als sie zu behandeln. Welches Medikament man auch bevorzugt, entscheidend für die Wirksamkeit ist der Zeitpunkt der Einnahme. Wenn man die Behandlung 8 – 12 Stunden vor dem Auslaufen beginnt, ist die Aussicht auf Erfolg deutlich größer als wenn man erst bei Einsetzen der Symptome damit anfängt. 

 

Es gibt eine verwirrende Anzahl von Medikamenten auf dem Markt und es ist offensichtlich, dass es kein Mittel gibt, dass bei jedem gleich gut hilft. Wenn man ein wirksames gefunden hat, sollte man auch dabei bleiben. In der nachfolgenden Tabelle sind einige der gebräuchlichsten aufgelistet. Die Medikamente können grundsätzlich in zwei Gruppen eingeteilt werden: 

 

erstens die kurzwirksamen, wie z. B. Hyoscine, als Mittel der Wahl für einen kurzen Törn über den Kanal und zweitens die länger wirkenden, wie z.B. Meclozin und Promethazin, die sich insbesondere dann anbieten, wenn man mehrere Tage hintereinander auf See ist. Bevor man eine Segelreise beginnt, müssen die länger wirkenden Medikamente auch früher eingenommen werden als die nur kurz wirksamen. 

 

Wenn jemand ein von ihm bevorzugtes Medikament nicht auf dieser Liste findet, dann braucht er sich darüber keine Gedanken zu machen. Wenn es wirkt, soll man ruhig dabei bleiben. Wir wissen, dass alleine die Einleitung einer Behandlung gegen Seekrankheit zu 30% wirksam ist, auch wenn das Heilmittel offensichtlich wirkungslos ist. Welches Medikament man auch immer einnimmt, man sollte die vorgeschriebene Dosierung nicht überschreiten und man sollte seinen Mitseglern auch mitteilen, was man einnimmt. Wenn man jedoch alle Medikamente der Auflistung ohne Erfolg ausprobiert hat, dann sollte man eines der etwas Müdigkeit hervorrufenden Antihistaminika (Medikament gegen allergische Reaktionen, Anm.d.Übers.), wie Phenergan, ausprobieren. 

 

Wirkstoff

Handelsname

(Wirkstoffgehalt/Tabl.)

Orale Dosierung

(Häufigkeit/Tag)  

Bemerkungen 
Meclozin

Ancolan (Australien)

Bonamine (Kanada u. Deutschland)  

Sea Leg (UK)

(25 mg) 

50mg (1) geringe NW, kann Müdigkeit hervorrufen,  gut für länger dauernde Behandlung. Man kann  es in der Nacht vor Reisebeginn  einnehmen 
Promethazin

Phenergan

(Universalname)

(25mg) 

25mg (1-3)  Am besten abends einnehmen, sehr häufig Müdigkeit. Diese „k.o..-Tropfen“ gibt es auch als zuckerfreien Sirup für Kinder. Auch als Injektion zur Behandlung schwererFälle von Seekrankheit verfügbar. 
Diphenhydramin

Benadryl (UK)

(25mg) 

50-100mg (3) 

Kann Müdigkeit hervorrufen, effekiver als  Antihistaminikum als zur Behandlung der  

Seekrankheit. 

Cyclizin

Marzine (Frankreich,

Italien,Deutschland,

Marezine in den USA)

(50mg)

50mg (3)  Wenig Nebenwirkungen, gut für länger dauernde Behandlung. In England wegen möglicher Halluzinationen nicht mehr erhältlich.
Hyoszin

Hyoszin als Universal-

Name aber auch Kwells

(UK u. Australien)

Sereen Tabs (UK)

Travacalm (Komb. mit

Antihistaminikum) als

Boots (UK)

(0,3mg)

0,6mg (3)

Nützlich als Einzeldosis für Kurzreisen. NW zu problematisch bei Langreisen, großer

Vorteil ist Wirkungseintritt innerhalb von  30 min., wird auch lutschend absorbiert  

Auch als Hautpflaster verfügbar (Scopoderm),

jedoch auch Berichte über Halluzinationen u. verschwommenes Sehen f. einige Tage od. auch Wochen anhaltend.

Cinnarizin

Stugeron (Universalname)

(15mg)

30mg (3) 

Mittellang wirksam, angenehmer Geschmack, kann gelutscht u. gekaut werden. Von vielen als sehr wirksam angesehen. Aufpassen wenn man Tabl. in Übersee kauft. Sie enthalten normalerweise 75mg, hingegen im UK enthalten  diese„over-the-counter“ Tbl. 25mg. Mehr ist nicht besser.

Wenn das Medikament gegen Seekrankheit Benommenheit hervorruft, dann ist es möglich als Gegenmittel (Pseudo-Epinephrin) Sudafed (15-30mg) alle 4 – 6 Stunden einzunehmen. Kontraindikationen sind hoher Blutdruck und Herzkrankheiten. 

 

(Abbildung S.137: Eine Jeannaeu Sun Liberty 34 „voll und bei“ außerhalb von Les Sables d’Olonne bei frischen Winden mit maximaler Besegelung. Die Schiffsbewegungen unter diesen Bedingungen können eine Herausforderung sein. Man könnte einiges tun, um die Auswirkungen abzuschwächen. Beidrehen oder eine Reduzierung der Segelfläche könnte schon helfen. Vielleicht war der Skipper auch seekrank und nicht mehr in der Lage, sein Boot gut zu führen. Viele von uns segeln aus Freude und nicht, um Unannehmlichkeiten zu ertragen. Beachte, wie die gereffte Genua bauchig durchhängt). 

 

Das in kontrollierten Studien wirksamste Medikament, welches man rezeptfrei („over-the- counter“) erhalten kann, ist das Antihistaminikum Dramamin (Dimenhydrinat). Experimentelle Untersuchungen weisen darauf hin, dass die wohl effektivste Behandlung in einer Kombination aus Scopolamin (Hyoscine) und Dexamphetamin oder auch aus dem Antihistaminikum Promethazin mit Ephedrin besteht. Da jedoch einige dieser Medikamente missbräuchlich verwendet wurden, ist es nahezu unmöglich geworden, eine Verschreibung für diese Kombinationstherapeutika zu bekommen. 

 

 

Von den leichter zu beschaffenden Medikamenten ist das Scopolamin, das seit den 1940er Jahren in der Behandlung der Bewegungskrankheit eingesetzt und auch für Jahrhunderte als Halluzinogen verwendet wurde, noch die beste Alternative. Der wirksame Anteil hierbei ist das Hyoszin. Die wesentlichen Nachteile dieses Medikaments bestehen in den  Nebenwirkungen: in niedriger Dosierung sind dies Schwindel und ein trockener Mund, während in höherer Dosierung schwerwiegendere Nebenwirkungen wie Halluzinationen auftreten können. Auch die Wechselwirkung mit Alkohol ist problematisch. 

 

Für jemanden, der schwer unter der Seekrankheit zu leiden hat, ist es oft notwendig, wenn er ein Sedativum (Beruhigungsmittel, Anm.d.Übers.) wie z.B. Diazepam, zusätzlich zu den anderen Medikamenten verabreicht bekommt. In den USA wird von einigen Prozac empfohlen. 

 

 

 

Wenn das Erbrechen eingesetzt hat 

 

Wenn die Symptome einmal eingesetzt haben, ist das Aufbringen des Scopoderm - Pflasters die wirkungsvollste Art der Behandlung. Es ist die ideale Möglichkeit, ein schnell wirkendes Medikament  bei vorhandenem Erbrechen einzusetzen. Die Substanz wird über die Haut schnell aufgenommen und ist eine bequemere Alternative gegenüber dem Schlucken eines Medikamentes. Allerdings ist die Absorption von Hyoszin über die Haut unzuverlässig und von vielen Faktoren abhängig: u.a. kann feuchte Haut kann die Aufnahme ins Blut beschleunigen und  bei untergewichtigen Personen zur Überdosierung mit schweren Halluzinationen führen. 

 

Andere Behandlungsmöglichkeiten bestehen in der Verabreichung von Zäpfchen oder, noch komplizierter, in der Gabe von Injektionen. Beides gefällt dem Betroffenen vielleicht nicht so sehr, hilft aber durchaus in Notsituationen. Nach zwei oder drei Tagen sollte ein Versuch unternommen werden, ohne Medikamente auszukommen, indem man die Häufigkeit der Einnahme und die Dosierung langsam reduziert. Viele der Medikamente, die vorsorglich gegen Seekrankheit eingenommen werden, haben Nebenwirkungen wie Müdigkeit, verschwommenes Sehen und Mundtrockenheit. 

 

Behandlung einer seekranken Crew 

 

Befindet sich eine seekranke Person an Deck, so muss sie einen Sicherheitsgurt tragen und  eingepickt sein. Die größte Gefahr besteht im „Über-Bord-fallen“ während man sich erbricht. 

 

Bei der Behandlung unterscheidet man zwei Stadien: einmal muss man jemanden behandeln, dem nur übel ist und dann jemanden, der am Erbrechen ist. 

 

Wenn sich die Betroffenen nur unwohl fühlen, können sie immer noch wertvolle Besatzungsmitglieder sein. Eine uralte, aber ausgesprochen wirkungsvolle Therapie besteht darin, dass man denjenigen ans Ruder setzt. Haben diese Leute ihre Wache beendet, dann sollten sie in eine Koje möglichst in Schiffsmitte gelegt werden. Auch wenn etliche Betroffene widerwillig reagieren und es eher für unmännlich halten mögen, ist es doch besser, ihnen das Ölzeug auszuziehen und dabei zu helfen, sich in die Koje zu legen. Dann sollte man die Leesegel befestigen und die Koje mit Decken und Kissen enger machen, damit der Betroffene nicht so stark hin und her rollt. 

 

Diejenigen, die erbrochen haben, unterteilt man wiederum in zwei Gruppen: man unterscheidet die, die sich erstaunlich schnell wieder erholen und jene, die richtiggehend krank sind. Wer sich schnell erholt hat, kann wie die erste Gruppe (siehe oben) behandelt werden (z.B. Ruder gehen). Wer jedoch schwer krank ist, hat überhaupt kein Selbstwertgefühl mehr. Er befindet sich in einer ausgesprochen schlechten seelischen Verfassung und kann auch noch Selbstmordgedanken entwickeln, was in jedem Falle ernst genommen werden muss. Solche Personen darf man nicht unbeaufsichtigt im Cockpit lassen, sondern sollte sie unter Deck bringen, da das Risiko einfach zu groß ist, dass sie über Bord fallen, unterkühlen, austrocknen oder andere ernste gesundheitliche Probleme entwickeln. 

 

Sie müssen vollständig ausgezogen und in den Schlafsack gelegt werden. Zusätzlich bekommen sie eine Pütz an die Koje gestellt, sowie Papiertücher und eine Flasche Wasser. Besser noch als reines Wasser ist eine isotonische Trinklösung, nicht nur während der akuten Phase der Seekrankheit, sondern auch während der Erholungsphase. Derartige Flüssigkeiten sind physiologisch (d.h. sie entsprechen der Salzkonzentration des Körpers) und werden deshalb schneller in den Organismus aufgenommen. Die Weltgesundheitsorganisation hat zum Beispiel Beutel hergestellt, die mit Wasser aufgefüllt, als „WHO – Lösung“ im Handel sind. Zahlreiche andere Mittel sind auf dem Markt verfügbar, wie „Dioralyte“ in England oder „Gastrolyte“ in Australien. 

 

Es wird empfohlen, dass sich Betroffene flach hinlegen und die Augen geschlossen halten sollen. Getränke können gut in einer Plastikschnabeltasse verabreicht werden. Allerdings muss man immer auch die Gesamtsituation im Auge behalten, wenn man seekranke Personen zu versorgen hat. Man muss sich um sie kümmern, aber sie fallen für den Bordbetrieb völlig aus. Man sollte sich immer vor Augen halten, dass jemand auch das Schiff segeln muss. Eine nutzlose, seekranke Crew darf nicht zwangsläufig die besten Kojen beanspruchen. Diejenigen, die körperlich arbeiten müssen, brauchen letztendlich diese Kojen eher, um sich während der Freiwache ausreichend erholen zu können. 

 

Auch wenn man sich auf einer Langreise langsam akklimatisiert hat, sollte man sich nicht zu früh darüber freuen. Es gibt eine Form der See- bzw. Bewegungskrankheit, die mit der Rückkehr an Land nach einer langen Seereise zu tun hat – ‚mal de débarquement’. Behandelt wird diese in gleicher Weise, aber am schnellsten geht sie vorbei, wenn man wieder ausläuft. 

 

Man sollte auch nicht vergessen, dass sich eine seekranke Person im Hafen sehr schnell wieder erholt. Und einige Kinder verdanken ihre Existenz der Seekrankheit, die verantwortlich dafür war, dass etliche „Anti-Baby-Pillen“ infolge des vorhergegangenen Erbrechens wirkungslos geblieben sind! 

 

Seekrankheit kann die Freude an der Seefahrt verderben und den Betroffenen handlungsunfähig machen. Es ist deshalb zu empfehlen, verschiedene Medikamente und Methoden im Vorwege so lange auszuprobieren, bis man ein geeignetes Mittel gefunden hat.